Diesen Brief mit einem wunderschönen Plädoyer für einen Hängesessel haben wir von unserer Leserin Gudrun F. aus München bekommen:

 

Meinen Hängesessel habe ich geschenkt bekommen. Gekauft hätte ich mir sicher nie einen. Mehrere Freunde haben zu meinem Geburtstag zusammen gelegt, weil ich „doch so gerne lese“. Ich lese gerne, aber das kann ich doch überall anders genauso gut, habe ich gedacht.

Wir haben den Sessel draußen unter dem Balkon befestigt und ich habe das eiförmige Monstrum die ersten Wochen nur argwöhnisch beäugt und auch als ein bisschen störend empfunden – immerhin nimmt es mir etwas von meinem Blick auf den Garten und scheint nie ganz still zu hängen. Wie ein großer, baumelnder brauner Tropfen.

Kurz davor ihn abzuhängen und zu all den anderen ungeliebten Geschenken in den Keller zu räumen war ich, als wir ebendiese Freunde, die mir den Sessel geschenkt hatten, zu einem Grillfest eingeladen haben und der Sessel tatsächlich den ganzen Abend unbesetzt war, obwohl ich ihn ganz einladend mit ein paar Kissen dekoriert hatte.

Ich weiß jetzt, dass ich meine Begegnung mit dem Hängesessel ganz falsch angegangen bin. Er sieht zwar nett aus, aber für Feiern mit Freunden ist er wahrlich nichts. Ich habe es schließlich ausprobiert. Nach rechts und links abgeschottet, sodass man nicht alle Gesichter derer sehen kann, die sich gerade an einem lustigen Gespräch beteiligen und auch noch langsam federnd und dabei in einer Zeitlupe-Schwenkbewegung in immer andere Richtungen gewiesen zu werden – so sitzt man in keiner guten Position für Geselligkeit.

Dieser augenscheinliche Nachteil des Hängesessels ist aber in Wirklichkeit sein größter Vorteil. Als ich mich am nächsten Vormittag, erschöpft von den grillfestbedingten Aufräumarbeiten, mit einem Rest Weißwein (es war Wochenende) aufs Sofa zurückziehen wollte, fand ich einfach keine Ruhe. Noch kurz die Zeitschrift zu Ende durchblättern, die Mutter zurückrufen, die Katze füttern, einen Einkaufszettel schreiben und dann aber die Füße hochlegen! Mein Blick fiel wieder auf mein im Sommerwind hin und her schwingendes Ei. Und dann kam der Moment, in dem ich heute glaube den Hängesessel erstmals verstanden zu haben.

Ich legte den Stift hin und ging auf die Terrasse, ließ mich in die Kissen im federnden Sessel fallen und begriff mit einem Mal, dass der Hängesessel ein Ort für mich sein könnte. Der ganze Stress, alles, was mir so im Hinterkopf herumspukte, war plötzlich viel weiter weg. Irgendwie kleiner. Ich habe dem Sessel und mir selbst versprochen, dass er eine Art Auszeit-Einkuschel-Abschalt-Zeit-für-mich-Platz wird. Und das ist er seitdem. Dass man zu den Seiten hin ein wenig abgeschottet ist empfinde ich mittlerweile als angenehm – mir kommt es so vor, als führe das eingeschränktere Sichtfeld zu mehr Fokus. Ich bemerke einen Schmetterling oder eine Hummel, ich nehme die Geräusche der Nachbarschaft oder der Vögel in den Bäumen wahr oder ich lehne mich zurück in die Kissen und blicke in den blauen Himmel.

Mein Hängesessel ist für mich der beste Ort zum Nachdenken geworden. Er ist ein hervorragender Platz, wenn man sich einmal schmollend zurückziehen möchte. Er ist mein Genießer-Sessel, in den ich mir einen kalten Eistee, eine Schüssel mit frischem Obstsalat oder das obligatorische Stück Schokolade mitnehme. Und mittlerweile ist er auch mein Lieblingsort zum ungestörten Lesen. Ich muss mich wohl noch einmal – diesmal ganz und gar ehrlich – bei meinen Freunden bedanken. Sie haben bewiesen, dass sie mich viel besser kennen, als ich dachte. Oder als ich mich selbst.